Eule
Städt. St.-Anna-Gymnasium

China — Eine außergewöhnliche Klassenfahrt

Begegnungen mit dem Volk, das 55.000 Schriftzeichen ersonnen hat
»This planet is too small a place for one billion of its potentially most able people to live in angry isolation« (US-Präsident Richard M. Nixon anlässlich seiner Chinareise, 1972)

Schüleraustauschfahrten ins europäische Ausland sind heute nichts Besonders mehr, aber Austauschprogramme mit der VR China sind immer noch eher ungewöhnlich. Wir hatten dieses Glück: über den Vater einer ehemaligen Schülerin bekamen wir Kontakt mit der Stiftung Mercator, die u. a. solche Austauschprogramme fördert und erhielten die Möglichkeit, Verbindung aufzunehmen mit der Taiyuan Foreign Language School in der Provinz Shanxi.

Schule

Im Juli 2010 erfolgte zunächst der Besuch der chinesischen Gruppe in München. Hatten wir uns im Vorfeld gewundert, dass jüngere Chinesen sich heutzutage gern europäische Namen geben, waren wir bei Ankunft der Gruppe überrascht, wie gut die Schüler Deutsch sprachen und verstanden und wie gut sie auch über unser Land Bescheid wussten. Sie waren durchaus in der Lage, Begriffe wie Kurfürstendamm, Bismarck, Adolf Hitler, Wirtschaftswunder, Mauerbau und Wiedervereinigung einzuordnen; auch die Vokabel »Pressefreiheit« kam in ihrem Wortschatz vor. Ob Thomas Mann oder Sigmund Freud — sie hatten alles schon im Unterricht gehabt. Mit dem ökologischen Teil des Projekts konnten wir, unserem Umbau sei Dank, gleich in der Schule beginnen und das schuleigene Wasserkraftwerk besichtigen, das sich den unter der Schule durchfließenden Eisbach zu Nutze macht. Daneben erkundeten wir die renaturierte Isar und besuchten eine Informationsveranstaltung im Umweltreferat.

Dahingestellt sei, ob es unbedingt sinnvoll ist, mit chinesischen Jugendlichen die KZ-Gedenkstätte Dachau zu besuchen — die Exkursion nach Salzburg und Bad Reichenhall mit Stadtbesichtigungen, einer Fahrt auf dem Königssee und einer Wanderung zur Eiskapelle am Fuß der Watzmann-Ostwand sowie einer Rundfahrt auf dem Chiemsee bei strahlendem Sommerwetter hat jedenfalls allen gut gefallen. Beim Abflug wurde rundum bedauert, dass die gemeinsame Zeit schon vorbei war — auch die Eltern fanden es schade, dass die »Chinesenkinder« schon wieder nach Hause reisen mussten.

Am 15. September war es dann für uns so weit: 10 Schüler und Schülerinnen flogen unter der Begleitung von Frau Dr. Guber-Dorsch und Frau Hötzsch nach Beijing. Von da aus ging es zunächst mit dem Zug nach Taiyuan.

Taiyuan liegt in der Provinz Shanxi, die als eine der Wiegen der menschlichen Zivilisation gilt. Die Besiedlung lässt sich bereits in der Steinzeit nachweisen; die letzten 3000 Jahre sind durch gut erhaltene geschichtliche Dokumentationen belegt. Das Shanxi-Museum gehört folglich zum Pflichtprogramm eines Besuchs in Taiyuan. Heute befinden sich laut Internet in der Provinz Shanxi allerdings auch zwei der schmutzigsten Städte Chinas.

In Taiyuan herrschte denn auch an den ersten Tagen starker Smog, so dass man von einem Ende der Straße nicht das andere sehen konnte. Erst nach Regen wurde die Sicht frei auf die umliegenden Berge. Die Stadt besitzt seit einigen Jahren mehrere weiträumige gepflegte Parkanlagen und der zentrale mit Blumen und Springbrunnen geschmückte »Befreiungsplatz« mit den umliegenden Hochhäusern könnte sich, abgesehen vom Namen und den Leuchtreklamen in Schriftzeichen, durchaus auch in den USA befinden. Am Rande der breiten Straßen gibt es vielfach Radwege — die allerdings zu Stauzeiten ebenso wie die Bürgersteige auch von Autos genutzt werden, bisweilen in beide Richtungen.

Einen bleibenden Eindruck hat bei allen Beteiligten die überwältigende und aufmerksame Gastfreundschaft der chinesischen Familien hinterlassen. Stets war man um unser Wohl rührend bemüht, überall wurden wir hinbegleitet, exzellent bekocht oder ins Restaurant zum Essen eingeladen. Die Speisen dort unterscheiden sich deutlich von dem, was man in Europa auch in guten Chinarestaurants vorgesetzt bekommt. Stets gibt es die magische Zahl von acht Gerichten, Fisch, Fleisch, Geflügel, Gemüse, Tofu in allen Variationen. Suppe, Reis und Nudeln zählen nicht mit. Soweit es die Sprachbarriere erlaubte, ergaben sich Gelegenheiten zu interessanten Gesprächen. Kommt die Unterhaltung auf deutsche Philosophie, wird dann von chinesischer Seite noch Karl Marx in einem Atemzug mit Hegel und Schopenhauer genannt. Wir hätten uns gerne am Ende des Aufenthalts unsererseits mit einer Essenseinladung revanchiert, doch das geht in China gar nicht. Chinesen verlieren ihr Gesicht, wenn der Gast bezahlt. Auch die Schüler fühlten sich in den Gastfamilien sehr wohl, die viel mit ihnen unternahmen — so weit es der randvolle Stundenplan der Chinesen zuließ. Einmal wurde für die sportliche Betätigung ein ganzes Fußballfeld angemietet.

Wir hatten darüber hinaus das Glück, das traditionelle Mondfest mitzuerleben, bei dem Mondkuchen in allen Variationen verzehrt werden und es man sich bei traditioneller Musik, Lampions und Feuerwerken gut gehen lässt.

Unvergessen werden uns ebenfalls die Impressionen vom chinesischen Schulalltag bleiben. Es gehört dazu, dass man dem Gast einen protokollarischen Empfang bereitet: anwesend waren neben der erweiterten Schulleitung der Erziehungsminister der Provinz und — es ist halt in China noch so Sitte — die örtliche Parteisekretärin. Das regionale Fernsehen und die Presse waren bei den offiziellen Programmpunkten stets präsent und berichteten mehrfach über unseren Besuch. Hier und bei anderen Gelegenheiten waren natürlich Frau Dr. Guber-Dorschs Chinesischkenntnisse sowie ihre Vertrautheit mit Mentalität und Gepflogenheiten stets hilfreich.

Unsere Partnerschule hat einen sehr guten Ruf und darf daher jedes Jahr 150 Absolventen für die Hochschule empfehlen, die dann keine für die Hochschulzulassung in China sonst erforderliche Hochschuleingangsprüfung mehr ablegen müssen. Außerdem gehört sie zu den konservativeren Schulen — und konservativ heißt in China, dass zumindest gelegentlich noch die Anrede tongzhi »Genosse« benutzt wird, und im Unterricht auch Gedichte von Mao Zedong gelesen werden.

Chinesische Schultage sind endlos lang. Sie beginnen um 7:00 Uhr morgens. Am Schultor steht dann eine Abordnung von sechs Schülern und Schülerinnen Spalier zu beiden Seiten. Jeder ankommende Lehrer wird mit einer Verneigung begrüßt. Der Unterricht endet um 20.10 abends, für Grundschüler allerdings »schon« gegen 17:30 Uhr. Samstags ist sowieso regelmäßig Schule, bisweilen auch am Sonntag, wenn etwa ein zusätzlicher Ferientag hereingearbeitet werden muss. Über den Tag verteilt sind etwa 10–11 Unterrichtstunden(wobei die beiden letzten Stunden am Abend zumindest teilweise für Hausaufgaben, AGs u. ä. genutzt werden); dazwischen gibt es mehrfach längere Pausen. Die drei Tagesmahlzeiten können in der Schule eingenommen werden. Zu Hause werden dann noch bis 23:00 oder 24:00 Uhr Hausaufgaben gemacht.

Das Deputat für Lehrkräfte dagegen scheint mit der Lehrverpflichtung in Deutschland vergleichbar zu sein; für bestimmte Tätigkeiten gibt es bisweilen auch recht großzügig Anrechnungsstunden. Zeitraubend sind allerdings sicher die mindestens wöchentlich abzuhaltenden pädagogischen Besprechungen…

Auch vom Unterrichtsablauf konnten wir uns ein Bild machen. Die Klassen können 50–60 Schüler umfassen, doch während des Unterrichts hört man die sprichwörtliche Stecknadel fallen. Zu Beginn der Stunde wird aufgestanden und die Lehrkraft im Chor mit einem kräftigen »Laoshi ni hao« (»Guten Tag, Lehrer«) begrüßt. Es findet viel Frontalunterricht statt, auch wenn andere Unterrichtsformen nicht mehr gänzlich unbekannt sind. Im Unterrichtsgespräch stehen die Schüler auf, wenn sie eine Antwort geben. Doch, es darf auch gescherzt und gelacht werden.

Beim Besuch einer Grundschule konnten wir uns einen kleinen Eindruck davon verschaffen, wie viel Drill erforderlich ist, um die auch für Chinesen schwierigen Schriftzeichen zu erlernen, die selbst gebildete Mitteleuropäer umgehend zum Analphabeten mutieren und schon das Entziffern einer Zeitungsüberschrift zu einer geistigen Höchstleistung werden lassen. Ganz zu schweigen von der Fähigkeit, die Zeichen auch selbst richtig aufzuschreiben — schon das Notieren einer Adresse wird da für uns zu einem unlösbaren Problem.

Jedes Zeichen muss wieder und wieder geübt werden, womit im Alter von etwa drei Jahren begonnen wird. Form und Reihenfolge der Striche sind genau festgelegt; für die Allerkleinsten gibt es Vorlagen zum Durchpausen. Ungefähr 3500 Schriftzeichen sollten beherrscht werden, um eine Zeitung lesen zu können. Zwar wurden in der VR China die Schriftzeichen in den 50er Jahren vereinfacht, sie können jedoch immer noch bis zu 16 Striche enthalten (In Taiwan, Honkong und Macao schreibt man bis zum heutigen Tag mit den noch komplizierteren Langzeichen). Wie schwierig das Erlernen der Schrift auch für Chinesen ist, mag die Tatsache illustrieren, dass man sich dabei heutzutage zusätzlich der lateinischen Schrift als Hilfe bedient: sie wird an den Grundschulen so nebenbei auch noch vermittelt, um mit ihrer Hilfe die Aussprache neuer Zeichen zu illustrieren, ebenso findet sie sich in für Jugendliche aufbereiteten Schullektüren und im einsprachigen Wörterbuch. Eingaben in Computer und Handy erfolgen sowieso in der Regel in dieser sogenannten Pinyin-Umschrift.

Auch Ausspracheübungen im Chor sind erforderlich, um die vier unterschiedlichen Tonhöhen der Vokale korrekt einzuüben, die sogar bei der Kommunikation von Chinesen untereinander bisweilen zu Missverständnissen führen können. Da verwundert es dann nicht mehr, dass ich mehrfach von Chinesen gehört habe, es würde niemand von sich behaupten, perfekt chinesisch zu können. Auch Chinesen mit Hochschulabschluss kennen nicht unbedingt jedes Schriftzeichen in einem Text. Dazu kommt die Vielfalt der Dialekte, die bisweilen untereinander nicht verständlich sind — daher laufen im Kino und im Fernsehen stets Untertitel in Schriftzeichen mit.

Schuluniformen (allerdings handelte es sich bei unserer Partnerschule dabei um legere Trainingsanzüge) sind ebenso selbstverständlich wie tägliche Gymnastik sowie Dauerläufe (auch bei 36 Grad im Schatten und 90 % Luftfeuchtigkeit) in Formationen und mit Kommandorufen — die dann im ganzen Stadtviertel zu hören sind — so dass der Schulsport eher an Exerzieren erinnert. Militärische Übungen in Uniform und wöchentliche Fahnenappelle mit Absingen der Nationalhymne gehören sowieso dazu. Doch die Traditionen des alten Chinas sind nicht in Vergessenheit geraten: Kalligrafie und Knotenkunde (kompliziert verknotete Schnüre werden gerne immer und überall zu Dekorationszwecken benutzt) sind Bestandteil des Kunstunterrichts, Taiji gehört zum Sportunterricht und die traditionelle Musik wird selbstverständlich auch gepflegt.

Das Niveau der Deutschlehrbücher ist überraschend hoch, besonders was die landeskundlichen Inhalte betrifft. So waren in einem Lehrwerk für das 2. Lernjahr u. a. thematisiert: Aidshilfe, SOS-Kinderdörfer, die Machtergreifung Hitlers, der Mauerfall, Willy Brandts Kniefall in Warschau von 1970, Wien und Mozart, die Schweiz, Zürich und der Röschtigraben. Das vermittelte Deutschlandbild ist recht realistisch und positiv. Ganz gelegentliche Ausrutscher lassen den Muttersprachler dann denn doch etwas stutzig werden so — ebenfalls in einem Deutschlehrbuch für das 2. Lernjahr — in einem Text über das Fernsehen: »Die Parteien, Kirchen und Gewerkschaften kontrollieren den Inhalt der Sendungen.« Und was denken junge Chinesen im 5. Lernjahr, wenn sie in einem Text über das Ende der DDR lesen: »Wir danken Gott für unsere Freiheit, das Größte neben der Gesundheit, was ein Mensch hat«?

Palast

Neben den Schulbesuchen kam die Begegnung mit dem Land und seiner Kultur nicht zu kurz. Mit der lokalen Wirtschaft befassten wir uns in einer Essigfabrik (Essig ist dort eine örtliche Spezialität, wird auf der Grundlage von Getreide hergestellt und vielseitig verwendet) und im Kohlemuseum. In der Essigfabrik sahen wir die traditionelle Zubereitung von Hand in Form einer Vorführung, zur Besichtigung der eigentlichen Werkhallen war dann irgendwie keine Zeit mehr……... Im Kohlemuseum durften wir mit Helm und Stirnlampen in eine nachgebaute Kohlegrube einfahren, wo wir anders als in der Realität nicht um unsere Sicherheit bangen mussten.

Gemeinsam mit den Schülereltern, die sich extra freigenommen hatten, fuhren wir zum landschaftlich wunderschön gelegenen Jingze-Tempel, der das Leben zum Thema hat. Folglich kann man dort Frauendarstellungen und eine heilige Quelle bewundern. Eine Exkursion führte in die alte Stadt Pingyao (Unesco-Weltkulturerbe), die trotzdem nicht zu den überlaufenen touristischen Gegenden gehört, so dass wir als »wai guo ren« (=Ausländer) im Straßenbild noch auffielen. Die letzten beiden Tage verbrachten wir in Beijing, flanierten gemeinsam über den Tiananmenplatz vorbei am Mao-Mausoleum, wo fast 35 Jahre nach seinem Tod dienstags bis sonntags täglich immer noch hunderte von Menschen dem großen Vorsitzenden die Ehre erweisen, posierten dann zugegebenermaßen am Eingang der verbotenen Stadt (bis 1912 Kaiserpalast und von 1949–1976 Wohnort Mao Zedongs) vor seinem Portrait fürs obligate Gruppenfoto und hatten das Glück, die verbotene Stadt im Nachmittagslicht und vergleichsweise menschenleer zu erleben. Diese Besichtigung fanden auch die Schüler besonders beeindruckend.

Anderntags wanderten wir bei mildem ruhigem Herbstwetter bei Badaling auf der chinesischen Mauer und flanierten über das Olympiagelände. Danach durften die Schüler selbständig Beijing im Umkreis der Wangfuijing Dajie (der großen Einkaufsstraße) unsicher machen. Auf dem Dong‘anmen-Nachtmarkt, wo alle möglichen exotischen Speisen angeboten werden, nutzten einige Schüler die Chance und probierten frisch gebratene Skorpione. Alle fanden sich pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt wieder vor dem Kentucky Fried Chicken ein — zu einer nächtlichen Odyssee zu unserem Hotel am Westbahnhof. Die Jungen wollten unbedingt mit der hochmodernen U-Bahn (die Gleise sind mit Glastüren geschützt, die Fahrkarten im Scheckkartenformat werden umweltfreundlich wiederverwendet!) fahren, was ihnen einen halbstündigen Fußmarsch zum Hotel bescherte. Für die Schülerinnen und die beiden Lehrkräfte erwies es sich als unmöglich, in dieser Millionenstadt um 21:30 Uhr zwei Taxis zum regulären Preis aufzutreiben.

So fuhr Frau Dr. Guber-Dorsch letztendlich mit drei Schülerinnen mit einem der letzten Busse zum Westbahnhof — wo ein freundlicher Volksbefreiungssoldat, der dort mit für die öffentliche Sicherheit zuständig war, der Gruppe den Weg zum Hotel wies.

Wunsch von Mercator war gewesen, dass die teilnehmenden Schulen eine Präsentation zum Thema Umweltschutz für die Expo in Shanghai erarbeiteten. Frau Dr. Guber-Dorsch hatte daraufhin vorgeschlagen, dies in Form eines Films zu tun und zusammen mit dem Filmemacher Hannes Stromberg hierfür mit den Schülern ein Konzept erarbeitet: deutsche Schüler sollten auf Chinesisch und chinesische Schüler auf Deutsch gegenseitige Fragen zum Thema Umweltschutz beantworten. Zusätzlich sollten zu diesem Thema Prominente und Kulturschaffende befragt werden. Die Aufnahmen mit den Schülern waren während des Aufenthalts der Chinesen in München gemacht worden.

Doch Shanghai ist 1000 Kilometer von Taiyuan entfernt — das bedeutete eine 13-stündige Bahnfahrt hin, und, da es von Shanghai nach Taiyuan dann irgendwie keine Karten mehr für den »schnelleren« Zug gab, 20 Stunden zurück. Lehrkräfte und Schüler waren zu sechst im Schlafwagenabteil, welches nicht durch eine Tür vom Gang getrennt war; von einer detaillierten Beschreibung der Toilettensituation wird abgesehen. Bei den zahlreichen Stops hatten wir immer wieder Gelegenheit, chinesische Bahnhöfe — zum Teil mit unbeschreiblichen Menschenmengen — ganz genau zu betrachten.

Die Expo selbst war natürlich ein beeindruckendes Mega-Event. Es war feuchtheiß und die Menschenmassen und die zurückzulegenden Entfernungen beträchtlich, da das originalgetreu nachgebaute Hamburg-Haus, in dem wir von Vertretern der Mercatorstiftung bei Lachsbrötchen sehr herzlich empfangen wurden, sich keineswegs in der Nähe des deutschen Pavillions befand. Um dort hinzugelangen, mussten eigens eingerichtete Busse und U-Bahnen benutzt werden. Abends wurde die DVD dann auf der Bühne vor dem deutschen Pavillion (durch den wir auch eine Führung erhielten) gezeigt. Frau Dr. Guber-Dorsch gab auf Chinesisch eine kleine Einführung und unsere chinesische Kollegin, Frau Astrid (Tianfeng) Wen fand einige deutsche Worte. Der Film fand großen Anklang — sowohl beim Publikum als auch bei der Mercator-Stiftung und der anwesenden konsularischen Vertretung, so dass sich die damit verbundene Arbeit auf jeden Fall gelohnt hat. Drei unserer Schüler und Schülerinnen konnten zusätzlichen Beifall einheimsen, als sie, angetan mit Dirndl und Lederhosen, noch »Der Mond ist aufgegangen« zu Gehör brachten.

Zu später Stunde besichtigten wir danach noch den chinesischen Pavillion, wo wir trotz der dankenswerterweise für uns organisierten VIP-Karten eine Zeitlang anstehen mussten. Die Präsentation des Landes begann mit einem Film, der von der Terrakotta-Armee in Xi‘an bis zum Erdbeben in Sichuan 2008 das alte und das neue China von seiner besten Seite zeigte und dann folgte ein disneylandmäßiger Schnelldurchgang durch die chinesische Geschichte. Da fiel dann auch bei kritischen chinesischen Schülern schon mal das Wort »Propaganda«. Erst nach tapfer durchgehaltener Besichtigung gegen 23:00 Uhr durften wir zu Abend essen. Es sei nicht verschwiegen, dass einige von uns vorübergehend dem Zusammenbruch nahe waren.

Dass die Expo keineswegs als inkompatibel mit dem kommunistischen China gesehen wird , davon konnte sich die Verfasserin dieser Zeilen am Folgetag selbst bei der Besichtigung des Hauses, in dem 1921 sich die KPCH konstituierte (heute Museum) überzeugen. Handelt es sich bei der Expo doch, so stand zu lesen um das »highest event in modern civilisation in an international metropolis with socialist modernisation.« — Aha.

Platz

Zum Glück blieb auch noch Zeit für einen Bummel über den »Bund« und die Glitzermeile Shanghais, die Nanjing Lu mit ihren zahllosen Geschäften. Doch geht man in die eine oder andere Seitenstraße, so ist man schnell wieder »richtig« in China: einfache Restaurants mit roten Laternen, Garküchen und Unmengen von Mopeds und Fahrrädern. Obwohl anstrengend, war die Exkursion nach Shanghai für unsere Schüler der Höhepunkt der Chinareise.. Schon die mehrstöckigen Straßen verfehlten ihren Eindruck nicht und das weiträumig angelegte Expo-Gelände hatte schon etwas Faszinierendes.

Gegen 21:00 Uhr traten wir dann die Rückfahrt nach Taiyuan an. Festzuhalten bleibt, dass keiner der Schüler sich über die lange Bahnfahrt beschwerte — nur die chinesischen Teilnehmer waren etwas beunruhigt, versäumten sie doch einen ganzen Tag in der Schule. Als wir um 17:00 Uhr schließlich in Taiyuan eintrafen, gingen auch zwei oder drei der chinesischen Schüler sofort dorthin, um wenigstens noch am Abendunterricht teilzunehmen.

China erschließt sich dem Betrachter nicht mit westlichen Maßstäben, nicht was seine Sprache und Kultur anbelangt und schon gar nicht sein politisches System. Es ist nach wie vor ein Einparteienstaat, auch wenn zahlreiche zuverlässige Parteimitglieder mittlerweile erfolgreiche Firmenmanager sind (Dagegen dürfen Parteimitglieder nach wie vor keiner Religionsgemeinschaft angehören). Im Straßenbild großer Städte bleibt dem aufmerksamen Beobachter nicht verborgen, dass trotz 30 Jahren Wirtschaftsboom es immer noch auch beträchtliche Armut gibt. Sowohl für den Bau des Olympiageländes in Beijing als auch für die Errichtung der Expo-Pavillions wurden zuvor dort ansässige Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt, was auch von unserer örtlichen deutschen Führerin in Shanghai ganz locker und selbstverständlich thematisiert wurde.

In manchen Museen gibt es eine Art »Hall of Fame« mit Prominenten, die dort auch schon waren — da findet sich nicht selten neben dem derzeitigen Staatsoberhaupt Hu Jintao noch eine Aufnahme von Mao Zedong. An Souvenirständen für Touristen gibt es zusätzlich zum üblichen Angebot oft eine breite Auswahl von Werken von und über Mao Zedong sowie Anstecker, Büsten usw. mit seinem Konterfei und Mützen und Uniformen aus der alten Zeit. Das alles legt die Frage nahe, wann man je in China so etwas wie Vergangenheitsbewältigung in Angriff nehmen wird. An einem Stand entdeckte Frau Dr. Guber-Dorsch, neben Mao-Literatur die Autobiographie des ehemaligen chinesischen Premierministers Zhao Ziyang, der 1985 anlässlich eines Treffens mit der bayerischen Staatsregierung auch dem (damals bundesweit noch einmaligen) Wahlunterricht Chinesisch an unserer Schule einen kurzen Besuch abgestattet hatte. Nach dem Massaker von 1989 auf dem Tiananmenplatz, das er versucht hatte, zu verhindern, fiel er in Ungnade und wurde bis ans Lebensende in Beijing unter Hausarrest gestellt. So recht einordnen lässt sich diese Beobachtung nicht…

Pressezensur ist in China nach wie vor an der Tagesordnung, wie der Weltöffentlichkeit auch bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dissidenten Liu Xiaobo vor Augen geführt wurde. Doch im Zeitalter des Internets lässt sie sich bisweilen umgehen: so kann man zwar youtube nicht aufrufen, wohl aber z. B. tagesschau.de und spiegel-online.

Am unmittelbarsten die Lebensplanung eines Großteils der Han-chinesischen Mehrheit beeinträchtigen dürfte die seit über30 Jahren staatlich angeordnete Einkindpolitik (Angehörige der 56 nationalen Minderheiten sind hiervon ausgenommen). So handelte es sich bei allen chinesischen Teilnehmern am Austauschprogramm mit einer Ausnahme um Einzelkinder. Bei einer Fahrt über Land machte einer der chinesischen Schüler uns auf Plakate aufmerksam, die für die Einkindpolitik Werbung machten. Der Landbevölkerung, so sagte er uns, müsse man den Sinn dieser Maßnahme erst beibringen, denn diese Menschen dächten teilweise nur an sich. Der Schüler fand es gar nicht in Ordnung, dass diese Menschen manchmal noch ein Kind möchten, vor allem wenn das erste Kind ein Mädchen ist.

So flogen wir am Ende des Aufenthalts alle mit einer Fülle von widersprüchlichen und kaum zu verarbeitenden Eindrücken nach Hause. China ist (noch?) nicht demokratisch, aber dennoch fasziniert eine Begegnung mit Land und Leuten und alle Beteiligten empfanden die Reise als eine große Bereicherung. Beim Abschied in Taiyuan flossen denn auch zahlreiche Tränen, und wir hoffen auf ein Wiedersehen mit unseren chinesischen Freunden und auf ein Weiterbestehen der Verbindung mit Taiyuan.

Auch die beiden Lehrkräfte sammelten zahlreiche neue Erfahrungen: Frau Dr. Guber-Dorsch hatte Gelegenheit, sich vor Ort einen Eindruck davon zu verschaffen, wie sehr sich China im Vergleich zu ihren früheren Aufenthalten verändert hat. Für mich als (reise)begeisterte Neuphilologin und Historikerin war die Betreuung und Begleitung dieses Austauschprogramms das bisher spannendste Projekt meiner Laufbahn — nicht zuletzt wegen der kleinen Erfolgserlebnisse nach zwei Semestern Chinesisch an der Münchner Volkshochschule, konnte ich doch gelegentlich eine Äußerung verstehen oder ein Schriftzeichen erkennen und ungefähr drei bis vier einfache Sätze zu meiner Person sagen. Auch für unser derzeitiges W-Seminar im Fach Geschichte mit dem Thema »China im 19. Und 20. Jhd.« konnten wir zahlreiche Anregungen sammeln.

Abschließend geht ein Dank an die begleitenden Lehrkräfte Frau Dr. Guber-Dorsch und Frau Hötzsch sowie an Frau Tianfeng Wen aus Taiyuan, die ihre Schüler nach München begleitete und das sehr gelungene Programm in China ausarbeitete und betreute sowie an alle deutschen und chinesischen Lehrkräfte, die uns hier wie dort unterstützten. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns an dieser Stelle ebenfalls bei Herrn Garbers, der den Kontakt mit der Stiftung Mercator, die sich Integrations- und interkulturelle Arbeit zur Aufgabe gemacht hat, zu Stande brachte, bei der Stiftung Mercator für die großzügige finanzielle Unterstützung sowie beim Schulreferat für einen Zuschuss. Desgleichen gilt unser Dank allen am Filmprojekt Beteiligten: Die Stiftung Mercator Mercator gewährte sowohl hierfür als auch für die Exkursion von Taiyuan nach Shanghai nochmals gesondert einen Betrag; zusätzlich erhielten wir finanzielle Mittel vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und vom Förderverein des St.-Anna-Gymnasiums. Weiterhin danken wir allen Mitwirkenden beim Filmprojekt ganz herzlich: Frau Anne-Sophie Mutter, Herrn Hans Well von der Biermöslblosn, dem Direktor des bayerischen Staatsballetts, Herrn Ivan Liska, Herrn Prof. Dr. Dr. Johannes Ring (TU München), Herrn Prof Dr. Dr. Hildebert Wagner(LMU),und Herrn Prof. Dr. Walter Dorsch. Desgleichen bedanken wir uns für die Unterstützung des Goethe-Instituts und der Deutschen Botschaft in Peking sowie ganz besonders bei Frau Lehmann von der Stiftung Mercator, die uns bei organisatorischen Fragen im Vorfeld und vor Ort stets zuverlässig mit Rat und Tat zur Seite stand. Last but not least gebührt auch ein herzliches Dankeschön der Schulleitung des St.-Anna-Gymnasiums, insbesondere Frau Dr. Ingrid Neuner, die dem Austauschprojekt von Anfang an aufgeschlossen gegenüber stand und zur Durchführung ermutigte.

Ina Hötzsch